Patienteninformationen
Gesichtsfehlbildung
Lippen-Kiefer-Gaumenspalte: Experten helfen bereits bei Neugeborenen
Spaltbildungen an Lippe, Kiefer und Gaumen sind weltweit die zweithäufigsten angeborenen Fehlbildungen. In Europa kommt eines von 500 Babys mit einer solchen Spalte zur Welt. Dabei können kleinere Formen wie isolierte Gaumenspalten bis hin zu ausgeprägten doppelseitigen durchgehenden Lippen-Kiefer-Gaumenspalten vorliegen. In etwa 15% der Fälle kann statistisch eine Vererbung nachgewiesen werden, wobei häufig auch Generationen übersprungen werden. Externe Einflüsse als primäre Ursache wie Alkohol, Nikotin, Stress, Medikamenteneinnahme etc. werden vielfach als potentielle Ursache diskutiert, bislang wurde jedoch keinerlei direkter Zusammenhang mit einer Noxe (lat. noxa: der Schaden) nachgewiesen, so dass dies auch eher unwahrscheinlich erscheint. Pränatal ermöglicht die moderne Ultraschalldiagnostik meistens bereits ab dem 5. Schwangerschaftsmonat bei der zweiten Ultraschall-Untersuchung eine sehr genaue Darstellung des Gesichtes, häufig lassen sich dann hier breitere Spaltbildungen der Lippe darstellen. Das betroffene Kind selbst ist in seiner geistigen Entwicklung ungestört und empfindet die Anomalie im Kleinkindalter noch nicht. Dennoch ist es aber notwendig, solche Fehlbildungen so früh wie möglich zu behandeln.
Spaltbildungen können nicht nur die Kieferbereiche sondern den ganzen Schädel betreffen. Diese Fehlbildungen sind äußerst selten und sehr komplex. Dabei können die Wangen, die Augenhöhlen und die Stirn sowie der Unterkiefer betroffen sein. Die Behandlung dieser Fehlbildungen erfordert grundsätzlich ein interdisziplinäres Konzept.
Gesichtspunkte
Behandlung
interdisziplinär an einem Spaltzentrum
OP-Dauer
je nach Ausprägung der Fehlbildung variabel
Anästhesie
Vollnarkose
Nachbehandlung
funktionelle Behandlungen (KFO, HNO, Sprechen) heimatnah
Weitere Themen im Überblick
Spaltbehandlung ist echte Zentrumsmedizin, da die Behandlung von Patienten mit Lippen-Kiefer-Gaumen-Segelspalten eine streng interdisziplinäre und damit übergeordnete Aufgabe ist. Kein medizinisches Fachgebiet allein besitzt die notwendige Kompetenz, um die Auswirkungen der Spalterkrankung auf die Funktionskreise Gesichtsästhetik, Atmung, Sprechen, Hören, Schlucken und Zahnapparat zu beherrschen. Moderne Spaltteams bestehen deshalb immer im Kernteam aus den vier hauptsächlich behandelnden Fachdisziplinen: der Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie, der Kieferorthopädie, der Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde mit Phoniatrie/Pädaudiologie und den Sprachtherapieberufen (Logopäde, Sprachheilpädagogik, Klinische Linguistik). Unterstützt wird das Team durch die Pädiatrie, die die begleitende kinderspezifische allgemeinmedizinische Behandlung durchführt.
Bei den erforderlichen Operationen geht es keinesfalls nur um die ästhetische Rekonstruktion des Gesichts, sondern hauptsächlich um die vollständige Wiederherstellung aller Funktionen (Kauen, Schlucken, Hören, Sprechen) und der Gewährleistung eines normalen Wachstums. Dieses Ziel können nur spezialisierte Ärzte erreichen, die sich sehr genau in den komplexen anatomischen Strukturen des Gesichtsschädels auskennen und wissen, wie Struktur und Funktion zusammenhängen. Ebenso müssen sie das Wachstumsverhalten von Knochen und Weichgewebe einplanen und berücksichtigen. Für die operativen Eingriffe sind daher die Mund-Kiefer-Gesichtschirurgen und Hals-Nasen-Ohrenärzte zuständig. In spezialisierten Zentren arbeiten sie sehr eng mit den Kollegen der anderen medizinischen und zahnmedizinischen Fachrichtungen zusammen.
Zur Sicherung einer normalen Zungenlage und -bewegungsmusters und einer ersten Trennung von Mund- und Nasenraum wird dem Neugeborenen bald nach der Geburt eine Kunststoffplatte eingesetzt, die wie eine zahnlose Prothese aussieht. Sie verschließt die Gaumenspalte zunächst provisorisch, sorgt für eine gute Zungenlage und kann in begrenztem Maße auch der Ausformung der Kieferanteile dienen. Sie ist wichtig für den späteren Spracherwerb, erleichtert aber auch die Ernährung des Säuglings. Gerade der Ernährung mit Muttermilch kommt eine besondere Bedeutung zu, denn durch das Stillen wird die durch die Spaltbildung fehlansetzende und unterentwickelte Mundmuskulatur speziell trainiert, in einer optimalen und der Flaschenernährung deutlich überlegenen Weise.
Das weitere therapeutische Vorgehen ist variabel und unterscheidet sich je nach aktuellem Forschungsstand und den Erfahrungen der behandelnden Ärzte.
Die operativen Eingriffe können erst sicher durchgeführt werden, wenn das Baby einige Monate alt und mindestens 5 kg schwer ist. Zu unterschiedlichen Zeitpunkten erfolgt je nach Zentrum der Verschluss der Gaumen und Lippenspalte. Je nach Behandlungskonzept kann dies auch gleichzeitig erfolgen. Manche Zentren verschließen den harten Gaumen erst nach dem zweiten Lebensjahr. Wieder andere Zentren beginnen mit dem Verschluss des weichen und harten Gaumens als ersten operativen Schritt und ziehen dann den Lippenverschluss nach.
Prinzipiell benötigt das Kind bis zur Einschulung dann keine weiteren Operationen, falls Laut- und Sprachbildung problemlos erfolgen und das Wachstum und die Narbenbildung zu einer unauffälligen Ästhetik führen. Ansonsten sollten sekundäre Korrektureingriffe zur Verbesserung der Sprechfunktion (sprechunterstützende Operationen) oder der Ästhetik (Lippen-Nasenflügelkorrekturen) rechtzeitig vor der Einschulung durchgeführt werden. Verbesserungen der Zahn- und Kieferstellung werden insbesondere in Zusammenarbeit mit den Kieferorthopäden vorgenommen, ggf. kann dies schon im Milchgebiss mit 4-5 Jahren sinnvoll sein. Im Wechselgebissalter mit 8-12 Jahren kann ein Knochenaufbau in der Kieferspalte notwendig werden (sog. sekundäre Osteoplastik). Zum Wachstumsabschluss, zwischen 16. und 18. Lebensjahr können Mund-Kiefer-Gesichtschirurgen dann mit eventuell anfallenden Korrektureingriffen die Ästhetik des Gesichtes nahezu vollkommen normalisieren. Hierzu gehört neben Vorverlagerungen des Oberkiefers insbesondere die Korrektur der Nase. Mit dem Einbringen eines dentalen Implantates lässt sich dann auch eine eventuell noch bestehende Zahnlücke bei fehlendem seitlichen Schneidezahn sicher und dauerhaft verschließen.